VG Cottbus 6 L 608/03 VERWALTUNGSGERICHT COTTBUS BESCHLUSS 6 L 608/03 In dem Verwaltungsgerichtlichen Verfahren ... wegen Duldungsverfügung zum Betreten eines Grundstücks; hier: Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Cottbus am 11. August 2003 ... b e s c h l o s s e n: 1. Die aufschiebende Wirkung des am 11. August 2003 durch den Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. August 2003 erhobenen Widerspruchs wird wiederhergestellt. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. 2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2 000,-- € festgesetzt. Gründe Der Antrag hat Erfolg; er ist zulässig und begründet. Gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs - hier des Widerspruchs - in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet worden ist, wiederherstellen, wenn das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn der erlassene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, da dann an dessen Vollziehung ein öffentliches Interesse regelmäßig nicht bestehen kann. Dagegen überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts das private Interesse des Antragstellers daran, von der Vollziehung verschont zu bleiben, wenn sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig erweist und ein besonderes Vollziehungsinteresse gegeben ist. Ausgehend von diesen Grundsätzen war dem Antrag stattzugeben. Der erhobene Widerspruch wird voraussichtlich deshalb Erfolg haben, weil die angefochtene Duldungsverfügung zum Zwecke des Betretens des Grundstücks durch Mitarbeiter eines durch den Antragsgegner beauftragten Unternehmens sich nach dem im vorläufigen Rechtsschutzverfahren geborenen und nur möglichen Prüfungsumfang als offensichtlich rechtwidrig erweist. Für die in dem Bescheid vom 4. August 2003 enthaltene Duldungsverfügung zum Zwecke der Gewährung des Zutritts zu dem Grundstück des Antragstellers fehlt es bereits an einer Ermächtigungsgrundlage. Die angefochtene Verfügung findet - entgegen der von dem Antragsgegner vertretenen Auffassung - in § 9 der Abwasserentsorgungssatzung des ... vom 19. Juni 2003 (im Folgenden: AES) keine Stütze. Nach § 9 Abs. 4 Satz 1 AES ist den ausgewiesenen Beauftragten des TAV zur Prüfung der Haus- und Grundstücksentwässerungseinrichtungen und zur Störungsbeseitigung am Haus- oder Grundstücksanschluss ungehindert Zutritt zu allen Anlagenteilen auf den angeschlossenen Grundstücken zu gewähren. Diese Regelung ist im Hinblick auf den hier zu beurteilenden Fall schon deshalb nicht anwendbar, da hier ein Haus- und Grundstücksanschluss erst eingerichtet werden soll. Selbst wenn man jedoch - wie der Antragsgegner in seinem Duldungsbescheid vom 4. August 2003 - unterstellen wollte, dass sich hieraus gleichwohl ein auch mit der Errichtung eines Haus- und Grundstücksanschlusses verbundenes Betretensrecht ergibt, ließe sich eine solche Annahme nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung mit Art. 13 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbaren. Nach Art. 13 Abs. 1 GG ist die Wohnung unverletzlich. Eingriffe und Beschränkungen dürfen gemäß Art. 13 Abs. 7 GG nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, aufgrund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorgenommen werden. Mit der Verpflichtung, dem Antragsgegner oder seinen Beauftragten den Zutritt zum Grundstück zu gestatten, wird das Grundrecht des Betroffenen - hier des Antragstellers - auf die Unverletzlichkeit seiner Wohnung berührt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 4. Februar 1997 - 4 CS 96.3560 u. 4 C 96.3573 -, NVwZ 1998, S. 540). Denn der Begriff der Wohnung ist weit zu verstehen (s. BVerfG. Beschl. d. Ersten Senats v. 13. Oktober 1971 - I BvR 280/99 - BVerfGE Bd. 32, S. 54, 69 ff.). Unter "Wohnung" ist jeder Bereich zu verstehen, den ein Mensch der allgemeinen Zugänglichkeit entzieht und zu Stätte seines Lebens und Arbeitens bestimmt (BVerfG, a.a.O.). Der Begriff umfasst somit neben den Wohnräumen im engeren Sinne auch Flure, Treppen, Keller, Garagen und selbst die Wohnaußenbereiche wie Gärten, Höfe, Veranden, für die nach den Umständen ersichtlich ist, dass sie der "räumlichen Privatsphäre" zugehören (vgl. OVG RhPf, Urt. v. 8. März 1994 - 7 C 11302/92 -, DÖV 1994, S. 835, 836; VGH BW, Beschl. v. 15. Dezember 1992 - 10 S 305/92 -, NVwZ 1993, S. 388, 389). Hiervon ausgehend kann nicht zweifelhaft sein, dass ein Betretensrecht in dem von dem Antragsgegner verstandenen weiten Sinne in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG eingreifen würde. Diese Vorschrift wäre danach nur dann eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage, wenn für ihren Erlass eine besondere formell-gesetzliche Grundlage bestünde. Denn Eingriffe und Beschränkungen des Grundrechts nach Art. 13 GG - die nicht der Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen dienen - sind nur "aufgrund eines Gesetzes" (Art. 13 Abs. 7 GG), d.h. nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung, die Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich erkennen lässt, möglich (vgl. OVG RhPf, a.a.O.; BayVGH, a.a.O.). Eine derartige Norm ist aber im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Der von dem Antragsgegner angeführte § 16 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg (KAG) genügt diesen Anforderungen schon deshalb nicht, weil er Einschränkungen des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) nur "nach Maßgabe dieses Gesetzes", d.h. des Kommunalabgabengesetzes, zulässt. Eine ausdrückliche gesetzliche Einschränkung im Zusammenhang mit der Herstellung eines Haus- und Grundstücksanschlusses lässt sich diesem Gesetz aber nicht entnehmen. Auch die den gemeindlichen Anschluß- und Benutzungszwang im Land Brandenburg regelnde Vorschrift des § 15 der Gemeindeordnung für das Land Brandenburg (GO) kann nicht als hinreichende Rechtsgrundlage angesehen werden, da sie ebenfalls keine - auch dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG gerecht werdende - Ermächtigung zur Einschränkung des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung enthält (vgl. für eine ähnliche Regelung BayVGH, Beschl. v. 15. Januar 1992 - 4 CS 90.1061 -, BayVBl. 1993, 53). Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG), da der bisherige Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte für die Bestimmung des im Hinblick auf die Antragstellung bestehenden (wirtschaftlichen) Interessen bietet. Da der Antragsteller ihr Begehren in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes verfolgt, war der veranschlagte Auffangwert zu halbieren. Rechtsmittelbelehrung: Gegen den Beschluß zu 1) steht den Beteiligten die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg zu. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses bei dem Verwaltungsgericht Cottbus, Von-Schön-Straße 9/10, 03050 Cottbus, einzulegen und innerhalb einer Frist von einem Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg, Logenstraße 6, 15230 Frankfurt (Oder) einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht besteht Vertretungszwang. Das gilt auch für die Einlegung der Beschwerde. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. In Abgabenangelegenheiten sind als Prozessbevollmächtigte auch Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zugelassen. Gegen den Beschluß zu 2) ist die Beschwerde zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes fünfzig EURO übersteigt. Sie ist bei dem vorgenannten Verwaltungsgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen.